EGON KARL NICOLAUS
ZAHL • FARBE
• ZEIT
Die gemalte Zahl, in der Frühzeit
unseres Jahrhunderts erstmals als selbständiges
Phänomen auf den Bildplan getreten,
gewann während der Zweiten Moderne
Autonomie. Von da an beschied sie sich
nicht mehr mit Nebenrollen, sondern
avancierte zum Hauptmotiv.
Für die Malerein von Egon Karl
Nicolaus wurden Zahlen zum untrüglichen
Identifikationsmerkmal. 1965 tauchten
sie erstmals in seinen Bildern auf,
gewannen rasch an akzentuierender Kraft
und präsentierten sich schliesslich
als visuelle Zentren. Einzelne Ziffern
und Zahlenfragmente wechselten mit Zahlengruppen,
doch blieben sie fern von mathematischen
Verpflichtungen:
Denkbar, dass Nicolaus die Zahl auch
als Synonym für die Verwissenschaftlichung
und Technisierung unseres Lebens wertete,
als ein Kennzeichen für Rationali-
sierung und Computerisierung. Hauptsächlich
jedoch diente sie ihm als kompo-
sitorisches Baugerüst und dies
ohne stilistische Einengung.
Während der späten siebziger
Jahre kündete die Zahl mit der
Strenge ihrer
vertikalen, horizontalen, diagonalen
und gerundeten Formen von konstruktiven
Konzepten, um im nachfolgenden Dezennium
gestische Szenen informellen
Charakters zu stützen. Nicolaus
ging dabei durchaus provozierend mit
der Zahl
um. Sie musste sich gefallen lassen,
in den Konturen verwischt, in der Substanz
fragmentiert, in Teile aufgelöst
und eng dem sie umgebenden Frabfeld
verbunden
zu werden. Doch blieb sie stetes herrschendes
Element durch die Farbe, die
Nicolaus ihr gab. Meist war es das Schwarz,
das sie aus dem rot-blau gelb-grünen
Bildakkord heraushob.
Mal ins Monumentale greifend; dann wieder
im Minimalen verharrend, konnten
die Zahlen bei Nicolaus eine eigene
Dynamik entfalten, korrespondierend
immer
wieder mit der Heftigkeit des Kolorits.
Die suggestive Wirkung dieser Bilder
ist
geblieben, auch ihre wohlklingende Fülle,
ihre musikalische Dimension.
Horst Richter